Geld, Profit und standardisierte Leistung sind hier zweitrangig: drei inspirierende Beiträge über mutige LehrerInnen, eine zweite Chance auf Bildung und progressive Pädagogik.
Seit mehr als einem Jahr haben die LehrerInnen in Jemen kein Gehalt mehr bekommen, doch sie unterrichten weiter. Ein Bericht von Sawsan Al-Refaei.
Der Beginn der Luftangriffe unter Führung Saudi-Arabiens im März 2015 und die internen Konflikte zwischen verschiedenen bewaffneten Gruppen haben sich katastrophal auf das Bildungssystem in Jemen ausgewirkt.
Alle bewaffneten Akteure haben bewusst Bildungsinfrastruktur angegriffen, in jeder Region, und trotz breiter internationaler Verurteilung. Rund 2.300 Schulen wurden teilweise oder vollständig zerstört, mehr als 1.600 können nicht benutzt werden. Schulgebäude werden vom Militär als Unterkünfte und zuletzt als Quarantäne-Zentren für Choleraopfer verwendet; tausende Lehrkräfte und SchülerInnen wurden vertrieben. Etwa zwei Millionen SchülerInnen, fast einem Drittel aller Kinder im Schulalter, wird derzeit das Recht auf Bildung verwehrt. Die Bilanz von fast zwei Jahren Krieg: Mindestens 10.000 Todesopfer nach UN-Angaben, Millionen Menschen sind von Hunger bedroht.
Aber die LehrerInnen in Jemen geben nicht auf. 70 Prozent von ihnen arbeiten nun auf freiwilliger Basis, seit die Regierung im Herbst 2016 die Gehaltszahlungen eingestellt hat. Die Schulleitungen verkürzen ihre Arbeitszeit, um ihnen Gelegenheit zu geben, sich andere Jobs zu suchen. Ohne Einkommen wird auch der Hunger zum Problem. Eine Zeit lang stellten lokale Geschäftsleute Körbe mit Lebensmitteln bereit, aber nur sporadisch und nur für eine begrenzte Zahl von Schulen in größeren Städten.
Trotz Hunger, Sicherheitsproblemen und politischer Drohungen weigern sich die LehrerInnen, ihre SchülerInnen im Stich zu lassen. Wo es keine Schule gibt, unterrichten sie vertriebene Kinder nach Möglichkeit auch unter ein paar Bäumen. Sie erfüllen zusehends auch andere wichtige Funktionen: Sie leisten psychosoziale Unterstützung für vom Krieg und von Verlusten traumatisierte Kinder, und sie mischen sich ein, um die Zwangsverheiratung junger Mädchen oder die Rekrutierung von Jungen als Kindersoldaten zu verhindern. Einige bringen selbstgekochtes Essen für hungrige SchülerInnen mit.
Ohne diese Meister der Hoffnung könnte einer ganzen Generation das Recht auf Bildung verwehrt worden sein.
Sawsan Al-Refaei ist Koordinatorin für Policy, Advocacy & Research bei der Arab Campaign for Education.
Eine zweite Chance
In Südsudan besuchen nur 30 Prozent der Mädchen eine Sekundarschule, und nur wenige schließen sie ab. Doch ein Bildungsprojekt verschafft ihnen eine zweite Chance, berichtet Nyanrror Teresa Marial aus eigener Erfahrung.
Ich lebe in Rumbek im Bundesstaat Lakes im Südsudan, wo es viele Bildungsbarrieren für Mädchen gibt. Aus Armut können manche Eltern die Schulgebühren nicht bezahlen, und Mädchen haben viele Hausarbeiten zu erledigen, die ihnen Zeit kosten. Andere Eltern wollen aus traditioneller Ignoranz einfach nicht, dass ihre Mädchen zur Schule gehen.
Ein anderes Problem ist, dass Mädchen sehr früh oder zwangsweise verheiratet werden. Unverhoffte Schwangerschaften kommen ebenfalls vor. Das passierte mir, ich musste die Schule abbrechen, um meine Tochter aufzuziehen – sie ist nun drei Jahre alt.
Mein Schwager brachte mich zu einem Bildungszentrum für Mädchen, die ihre Schulbildung abgebrochen haben – Accelerated Secondary Education for Women (ASEW), ein Projekt des Africa Educational Trust. ASEW will Mädchen dabei helfen, eine Sekundarschule abzuschließen anstatt im Austausch gegen Kühe oder Ziegen verheiratet zu werden.
Dass das ASEW-Zentrum von einer Frau geleitet wurde, inspirierte mich. Bei ASEW gab es keine Strafen und keine Schulgebühren, und die Lernmittel waren kostenlos. Es war eine Tagesschule, kein Internat, daher hatte ich Zeit, zuhause mitzuhelfen und mich um meine Tochter und um meine Mutter zu kümmern. Die Schule war auch sicher, Außenstehende hatten keinen Zugang – es ist hier sehr gefährlich für Frauen und Mädchen, denn seit dem Beginn des Kriegs 2013 ist die ganze Region von Rumbek Konfliktgebiet.
Ich klemmte mich dahinter und schloss mit einem Top-Ergebnis ab. Ich möchte die Uni besuchen, Rechnungswesen studieren und eine Anstellung suchen. Wenn ich einen Job habe, werde ich mir überlegen, ob ich heiraten will.
Wie die Vision eines Lehrers in Kolumbien zu einer weltweiten Praxis wurde, beschreibt Mónica del Pilar Uribe Marín.
Wieder einmal hatte Oscar Mogollón, Lehrer an einer Grundschule in Norte Santander an der Grenze zu Venezuela, den Schlüssel für die Schule zuhause vergessen. Seine Schüler mussten warten. „Herr Lehrer“, fragte ihn später einer von ihnen, „warum geben Sie den Schlüssel nicht mir? Ich vergesse ihn sicher nicht!“ Oscar blickte ihn kurz an und wusste: Das war die Chance, etwas in die Praxis umzusetzen, was ihm seit jeher vorgeschwebt war – seinen Schülern mehr Mitsprache und Eigenständigkeit einzuräumen.
Also gab er ihnen den Schlüssel. Dieser Tag Mitte der 1960er Jahre war der Geburtstag des „Schlüsselkomitees“. Es war das erste von vielen: Oscar und seine Schulkinder gründeten Komitees für Gesundheit, für den Garten der Schule, für die Bibliothek, und letztlich entstand daraus eine Art „Schulregierung“.
Oscar begriff, dass man auch die lokale Bevölkerung und die Eltern einbeziehen musste. Die Eltern begannen mitzuhelfen, kümmerten sich um den Garten und hielten Schweine, um Geld für neue Bücher zu verdienen. Schließlich schaffte er es, sein Modell in 200 anderen Schulen in der Region umzusetzen.
Revolutionäres Modell. Was in Oscars Schule entstand, sollte später die Schulerziehung nicht nur in Kolumbien, sondern rund um die Welt revolutionieren – insbesondere in ländlichen Gebieten. In den 1970ern entwickelte er zusammen mit seiner kolumbianischen Kollegin Victoria Colbert die Methode der „Escuela Nueva“. 50 Jahre nach der Geburt des „Schlüsselkomitees“ ist dieses pädagogische Modell weiterhin einflussreich und wird heute in 25.000 Schulen in Kolumbien und in 16 anderen Ländern praktiziert.
Die Methode der Escuela Nueva stützt sich unter anderem auf den Ansatz des brasilianischen Pädagogen Paolo Freire. Unterricht, so Freire, dürfte nicht in einem hierarchischen Machtverhältnis stattfinden, bei dem ein allwissender Lehrer Informationen wie auf einer Einbahnstraße weitergibt.
Den Unterrichtenden aus dem Zentrum zu rücken und stattdessen die Kinder zu ermutigen, ihren Lernprozess selbst zu steuern, hat zu einigen erstaunlichen Erfolgen geführt, wie Weltbank und UNESCO dokumentiert haben. Vor allem die höhere Eigenverantwortung der SchülerInnen stärkt ihre Unabhängigkeit, Verantwortlichkeit, ihre Kommunikations- und Führungskompetenzen und auch ihr Selbstwertgefühl. Die Escuela Nueva schneidet auch nach herkömmlichen Maßstäben besser ab, etwa in Gestalt niedrigerer Abbruchquoten und besserer Leistungen in Gegenständen wie Mathematik und Sprachen.
Oscar Mogollón starb 2009. Aber die Innovationen dieses charismatischen Lehrers werden weiter Einfluss darauf haben, wie Kinder rund um die Welt unterrichtet werden.
Mónica del Pilar Uribe Marín ist eine kolumbianische Journalistin und Chefredakteurin von „The Prisma“.
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